Buchrezension von Rainer Städing

Thomas Seeley, der bekannte amerikanische Verhaltensforscher und Imker, der die demokratische Entscheidung eines Bienenschwarms, welche von verschiedenen (Baum)Höhlen besetzt werden soll, erforscht hat (Schwarmintelligenz), hat nun ein Standardwerk über das Leben wilder Honigbienenvölker herausgebracht. Die Frage, ob die Honigbiene nicht mittlerweile nach 10tausend Jahren Domestizierung durch den Menschen eine Haustierrasse sei, verneint er. „Die Honigbiene ist nach wie vor hervorragend an ein selbständiges Leben in freier Natur angepasst.“  Honigbienen die mit bis zu 30 km/h an uns vorbeidüsen, auf der Suche nach stetig wechselndem Bedarf an Propolis (aus Baumharz), Wasser, Nektar und Pollen, und dabei bis zu 14 km zurücklegen. Dabei finden sie stets zum Nest zurück und müssen laufend auf das unablässig wechselnde Blütenangebot im Suchgebiet reagieren.

„Die Honigbiene ist nach wie vor hervorragend an ein selbstständiges Leben in freier Natur angepasst.“

Prof. Thomas Seeley

Aus den Tropen stammend, haben Honigbienen sich evolutionär an das Überleben in kälteren Verbreitungsgebieten angepasst und sind die einzigen staatenbildenden Bienen, die als Volk versuchen den Winter zu überleben, während bei anderen Insektenvölkern nur die Königin überwintert (Hummel, Hornisse). Diese Überlebensvorgänge interessieren Seeley, denn während die Honigbiene in menschlicher Haltung intensiv erforscht wurde, sind die wildlebenden Honigbienen kaum untersucht. Dabei ist die Kenntnis über das Überleben wildlebender Honigbienen für Seeley entscheidend zur Bewältigung vieler aktueller und künftiger Haltungsprobleme der Honigbienen. Der „kleine Vogel Gottes“, wie russische Honigbauern die Honigbiene respektvoll nannten, ist ein Musterbeispiel für „Schwarmintelligenz“, die einzelnen Beschreibungen in dem 350 Seiten starken Band belegen dies auf faszinierende Weise. So wechseln viele Arbeiterbienen direkt nach dem Schwärmen und Aufsuchen einer neuen Höhle in die angestrengte Wachsproduktion um den Wabenbau als Grundlage des Volkes zu beschleunigen. Andere kleiden die Höhlenwand mit antibakteriellem Propolis aus, welches auch zum Verkitten von Ritzen und Fluglöcher dient. Seine Forschungen führt Seeley vor allem Nahe Ithaca im Bundesstaat New York durch, wo sich die durch Siedler eingeführte Dunkle Europäische Honigbiene (Apis mellifera) auch wildlebend verbreitet hat und dort sehr kalte Winter in Baumhöhlen zu überstehen vermag. Akribisch haben Seeley und seine Mitarbeiter untersucht, welche Baumhöhlen, in welcher Höhe mit welcher Ausrichtung und Position des Einflugloches Bienen bevorzugen. In kälteren Regionen sind es größere Höhlen um den Honigvorrat für den Winter anpassen zu können. Gern beziehen Bienenschwärme Höhlen mit Waben eines vorigen Volkes, das steigert die Überlebensrate im ersten Winter der Gründerkolonie von ca. 20 Prozent in leeren Höhlen, während einmal etablierte Völker dann bis zu 80 Prozent überleben. Faszinierend ist die Ressourceneffizienz der Bienen beim Wabenbau für den sie eine „Bautraube“ bilden. Mit dem Waben-Hexagon optimieren sie den Materialverbrauch und können Seitenwände auf bis zu 0.073 Millimeter reduzieren, um Material zu sparen.

Während das Buch mit einem kurzen Abriss der Domestizierung der Honigbiene und ihrer Haltung beginnt, widmet der Autor ein ausführliches letztes Kapitel Hinweisen zu einer naturnäheren Bewirtschaftung, die er darwinistische Bienenhaltung nennt und aus einem Vergleich von wildlebenden mit vom Menschen gehaltenen Bienen ableitet.

Ein spannendes Buch für alle Bienenfreunde und Naturliebhaber. Da die Honigbiene aus den Wäldern kommt, sollten auch wir Förster und Försterinnen mithelfen, ihr (wieder) einen Platz darin zu verschaffen. Das Wissen wie viele wildlebende Völker in unseren Wäldern existieren, ist sehr rudimentär. Deutlich wird aber auch hier, dass ein Dreh- und Angelpunkt von mehr Artenvielfalt im Wald die Baumhöhlen sind.

Thomas D. Seeley, Das Leben wilder Bienen, Eugen Ulmer KG, 2021, Preis 29,95 Euro


Autor dieser Rezension ist Rainer Städing, langjähriger Pressesprecher der Landesforsten im Nordwesten. Städing hat bereits mit 16 Jahren seine Forstausbildung gemacht und war lange Zeit Revierförster bei Braunschweig. Im letzten Jahr ist der Wahloldenburger in den Ruhestand gegangen. Wir danken für die informative Buchbesprechung!

Rainer Städing
(Foto: Max Hartung)